
Udo Schendel, CEO von Weischer.JvB, rechnet noch in diesem Sommer mit einer "Übermobilität". Viele Menschen werden mehr unterwegs sein als im Jahr 2019. Mediaplaner sollten sich darauf einstellen. Der Gastbeitrag ist ursprünglich bei der W&V erschienen.
Als Premierminister Boris Johnson Ende Februar ankündigte, ab Mitte Mai Auslandsreisen wieder zu erlauben, löste er auf der britischen Insel ein mittleres Beben aus. Die Airline Easy-Jet und der Reiseveranstalter berichteten Stunden später von einer sprunghaft gestiegenen Nachfrage, die in der Aussage eines Mitarbeiters gipfelte: "Die Briten buchen wie verrückt."
Ähnliches vollzieht sich gerade in Deutschland. Nachdem Mitte März die Reisewarnung für Mallorca aufgehoben wurde, schossen die Buchungszahlen in die Höhe. Am darauffolgenden Wochenende wurden bei der TUI doppelt so viele Reisen gebucht wie zwei Jahre zuvor.
Die Entwicklung kommt nicht überraschend. Umfragen während der Corona-Krise hatten bereits darauf hingewiesen, dass die Menschen Nachholbedarf haben. In einer Studie aus dem Mai vor einem Jahr sagten beispielsweise 50 Prozent der Befragten, sie freuten sich darauf, wieder verreisen zu können. Und ebenso viele gaben an, sie wollten so bald wie möglich wieder in Restaurants und Bars gehen können.
Nichts deutet darauf hin, dass dies – knapp ein Jahr später – anders sein sollte. Im Gegenteil. Es gibt nicht wenige Indizien, die darauf hinweisen, dass die Mobilität bereits jetzt schon wieder überraschend hoch ist. Anfang März meldete beispielsweise das Statistische Bundesamt, dass sich die Mobilität in der zweiten Februarhälfte stark dem Vorkrisenniveau annähert. Am 21. Februar, als deutschlandweit überall frühlingshafte Temperaturen herrschten, lag die Mobilität sogar über dem Vergleichswert des Vorkrisenjahres 2019.
Was passiert da gerade? Immerhin gingen die Prognosen zahlreicher Experten noch vor wenigen Monaten in eine ganz andere Richtung. Die übereinstimmende Meinung, die von vielen Umfragen gestützt wurde, lautete, nach der Krise würde eine neue Nachdenklichkeit einsetzen. Die Menschen würden auf Fernreisen verzichten, auch weil dies die Umwelt über Gebühr belaste. Dienstreisen werde es auch nur noch wenige geben und die vielen Mitarbeiter, die jetzt im Homeoffice arbeiten, hätten auf die tägliche Pendelei keine Lust mehr und würden weiterhin vornehmlich zu Hause arbeiten wollen.
Wer jetzt genau hinsieht, dem offenbart sich ein anderes Bild. Die Pandemie dauert nun schon so lange, dass die Bürger sehnlichst auf Lockerungen warten und diese auch sofort nutzen wollen. Trotz des schwierigen Auftakts hält die EU-Kommission eine Impfrate von 70 Prozent bis zum Sommer für realistisch. Davon betroffen ist auch die Generation 60 plus, eine Zielgruppe, zu der sehr viele aktive, einkommensstarke und mobile Personen zählen. Diese wird ihre neu gewonnene Freiheit mit Ausflügen, Reisen und ausgedehnten Shoppingtouren genießen.
Sollte tatsächlich der digitale Impfpass kommen, dürfte das die weithin sichtbare Lebensfreude weiter befeuern. Denn dieser soll nicht nur Impfungen nachweisen, sondern auch aktuelle PCR- und Antigen-Schnelltests. Das bedeutet: Wer nachweisen kann, dass er keine Infektion hat, kann ins Konzert, ins Kino, ins Restaurant oder ins Ausland. Schon bald werden Innenstädte, Bahnhöfe, Flughäfen und Straßen also wieder hoch frequentierte Touchpoints sein.
Wir bei Weischer.JvB rechnen deshalb seit längerem mit einer baldigen "Übermobilität". Wir glauben nicht daran, dass die Bürger ihr Leben ruhiger als vor der Corona-Pandemie angehen wollen. Wir sind stattdessen der Überzeugung, dass wir demnächst eine Mobilität im Land haben, die über der des Vorkrisenjahres 2019 liegt.
Die Frage ist, was dies für Werbungtreibende bedeutet, wenn ihre Zielgruppen in ungewohnter Kauflaune so viel unterwegs ist wie seit vielen Monaten nicht. Immerhin haben die Deutschen nach einer Berechnung der DZ Bank im vergangenen Jahr auch noch 393 Milliarden gespart, das private Geldvermögen ist damit auf ein Rekordhoch gestiegen. Vieles davon sind Notgroschen für Krisenzeiten. Aber viel davon wird in den nächsten Monaten in den Konsum fließen.
Markenartikler, Händler, Mediaplaner sollten sich auf diese kommende Übermobilität einstellen. Und zwar jetzt. Selbst wenn noch nicht klar ist, wann wir die dritte Corona-Welle hinter uns lassen können: Die gefragten Werbeplätze werden über Nacht ausgebucht sein. Das betrifft vor allem die Außenwerbung, die – im Gegensatz zu digitalen Werbekanälen – ihr Angebot nicht beliebig nach oben skalieren kann. Die besten Standorte werden so schnell vergeben sein wie die schönsten Plätze am Hotel-Pool. Vielleicht sollten Sie es deshalb wie die Deutschen auf Mallorca machen und die sonnigsten Liegen schon mal mit einem Handtuch reservieren.
Autor: Udo Schendel
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