
Dass sich gerade das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) zu einem weltweiten „Exportschlager“ entwickeln würde, hat selbst im ausfuhrstarken Deutschland zu Verwunderung geführt. Denn beliebt ist das NetzDG hierzulande sicher nicht. Und doch oder vielleicht auch gerade, weil es hierzulande auf harsche Kritik stieß, da willkürliche Zensur und auch Denunziationen befürchtet wurden, hat das NetzDG eine neue Heimat vor allem in totalitären Staaten mit autoritären Führungen gefunden.
Das zumindest berichtet die dänische Denkfabrik „Justitia“. In ihrer Untersuchung „The Digital Berlin Wall: How Germany (Accidentally) Created a Prototype for Global Online Censorship“ führt sie weltweit Beispiele für NetzDG-Adaptionen seitens unterschiedlicher Länder auf. Und praktisch immer ist das Ergebnis eine noch strengere, härtere und stärker nach Zensur und Einschränkung der Online-Meinungsfreiheit schmeckende Version, die in erster Linie oppositionellen und regierungskritischen Stimmen den Social-Media und Messenger-Maulkorb anlegt.
Sei es das vietnamesische „Law on Cybersecurity“, der philippinische oder malaysische „Anti Fake News Act“, der „Protection from Online Falsehoods and Manipulation Bill“ in Singapur oder auch Varianten wie das „Law Against Hatred, for Tolerance and Peaceful Coexistence“ in Venezuela: Sie alle haben mehr oder minder deutliche Spuren des deutschen NetzDG in ihrer DNA. Teilweise, wie beispielsweise in Russland, handelt es sich sogar um echte „Copyright-Verletzungen“, da das deutsche Anti-Hass-Gesetz für Social Media quasi 1:1 übernommen wurde.
Das Problem, das auch Reporter ohne Grenzen sieht, besteht darin, dass das NetzDG in den Händen von Autokraten zu einer Waffe geformt wurde, mit deren Hilfe kontroverse Online-Debatten erstickt und Kritiker in den Social Media schlicht und ergreifend mundtot gemacht werden.
Denn oftmals geht die Adaption des deutschen NetzDG in diesen Ländern nicht nur weiter, sondern zielt vor allem darauf, die Urheber gemeldeter oder entdeckter Inhalte ausfindig zu machen und hart zu bestrafen. Und das eher selten für Hassrede, sondern für im deutschen NetzDG-Sinne legitime Kritik an der Regierung und ihren Vertretern.
Wenn dann kritische Journalisten keine Instanz haben, an die sie sich wenden können, weil sie sich zu Unrecht blockiert oder verhaftet fühlen, wird das „lokale“ NetzDG zum dankbaren Instrument für Diktatoren und autoritäre Herrscher, die Presse- und Meinungsfreiheit unter dem Deckmantel der Legalität und unter dem Vorwand der Eindämmung von Online-Hassrede beliebig einzuschränken und zu beschneiden.
Nicht nur, aber auch in den Staaten, die das deutsche NetzDG adaptiert und bisweilen eben auch korrumpiert und pervertieret haben, setzt sich immer mehr durch, dass autoritäre Regime und Regierungen den Kampf gegen Hass und Hetze im Netz durch in Eigenregie lancierte und gesteuerte Desinformationskampagnen eigentlich erst notwendig machen, um beides dann mit rigorosen Maßnahmen zu bekämpfen.
Der für sie nützliche Nebeneffekt: Indem Autokraten genau die gefährlichen Auswüchse aus dem Netz und den Social Media verbannen möchten, die sie zum Teil selbst gesät haben, nutzen sie diesen Rasenmäher auch gleichzeitig dazu, konträre Meinungen und kritische Stimmen von der öffentlichen Wahrnehmung abzuschneiden wie auch dazu, Facebook, Google und Co. an die staatliche Kandare zu nehmen, damit diese vor allem regierungstreue Beiträge „senden“. Und aus vorauseilendem Gehorsam eher zu viel als zu wenig löschen und damit der Online-Zensur den Boden bereiten.
Das dies nicht erst seit der Adaption bzw. Kopie des NetzDG durch einige Länder der Welt so ist und dass die Äußerung der eigenen Meinung im Netz zu Unfreiheit respektive Gefängnis führen kann, hat auch der Freedom on the Net Report 2019 des Think Tanks „Freedom House“ detailliert analysiert.
Von der fast 4 Milliarden großen Online-Bevölkerung leben über 70 Prozent in Ländern, in denen bereits Einzelne aufgrund von u.a. politischen Posts verhaftet und/oder eingesperrt wurden.
Gut zwei Drittel wohnen in Ländern, wo Menschen wegen ihrer Online-Aktivitäten sogar getötet wurden und werden. In der Heimat von fast 60 Prozent der Menschen manipulieren Regierungen die Online-Diskussionen mithilfe von regimetreuen Kommentatoren zu Gunsten ihrer Partei- oder politischen Linie. Und bei etwas mehr bzw. etwas weniger als der Hälfte zog die Regierung immer wieder mal den Online-, Mobile- und Social-Media-Stecker, um die Menschen vom offenen Austausch auszuschließen.
Schaut man darauf, wie der „Freedom on the Net Report 2019“ die Freiheit oder Unfreiheit im Web kartographiert, sind es unterm Strich 50 von 65 untersuchten Ländern, in denen das Netz und der Zugang dazu staatlichen Restriktionen unterliegen.
Und tatsächlich wird auch in den Ländern, die das NetzDG für ihre Zwecke missbraucht haben, das freie Web zur staatlich kontrollierten und reglementierten Zone – wohl auch dank der regionalen Interpretation des deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes.
Im Mutterland des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes strebt das Bundesjustizministerium derweil eine Verschärfung der Regelungen an. Der Gesetzentwurf sieht unter anderem vor, dass nun auch die sozialen Netzwerke in die Meldepflicht genommen werden – zumindest bei volksverhetzenden Posts und Morddrohungen. Ist dieses Meldesystem unzureichend eingerichtet, drohen den Plattformbetreibern Bußgelder.
Auch steht im Raum, dass die Social Media in Zukunft von ihren Nutzern verlangen sollen, dass diese sich bei Neuanmeldungen mit ihrem richtigen Namen, ihrer Adresse und ihrem Geburtsdatum registrieren müssen. Und diese Daten schließlich wollen die Justizbehörden dann auch ausgehändigt bekommen, wenn es um die Strafverfolgung aufgrund entsprechender Posts geht:
„Deshalb soll in der Strafprozessordnung klargestellt werden, dass die Erhebung von Nutzungs- und Bestandsdaten bei Telemediendiensten unter den gleichen Voraussetzungen wie bei Telekommunikationsdiensten möglich ist.“ (Gesetzentwurf zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität)
Eine völlige Aufhebung der Anonymität im Netz entspricht diese Forderung dem Justizministerium zufolge nicht, doch letztlich müsse es möglich sein, Urheber von strafrechtlich relevanten Posts sicher und schneller identifizieren zu können – und auch andere durch Abschreckung davon abzuhalten, Hassrede und Hetze zu verbreiten. Zudem, so Bundesjustizministerin Christine Lambrecht, müsse, wer im Netz bedroht und beleidigt werde, das dem Netzwerk einfach und unaufwendig melden können – und zwar direkt vom Posting aus.
So nachvollziehbar die Bestrebungen vor allem nach dem rechtsextremistisch motivierten Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und nach den schrecklichen Taten in Halle und Hanau auch sind, die Daumenschrauben für sowohl die Social Media wie auch hetzerische User anzuziehen, so sehr bleibt es dennoch zu hoffen, dass autoritäre Staaten nicht auch diese Verschärfung des NetzDG als Blaupause für noch schlimmere Online-Repressalien nutzen, um damit ihre autoritäre Agenda weiter zu verfolgen.
Autor: MB
(Quelle aller Abbildungen: Freedom House: Freedom on the Net Report 2019)
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