Blickwinkel

Facebook lässt sich in die Daten schauen

Trends und Innovationen

Die weltweite größte Social-Media-Plattform hat die Tiefen seines Netzwerks für Forscher geöffnet. Durch das Projekt Social Science One, das Wissenschaftler und Unternehmen zusammenbringen soll, damit diese gemeinsam die Herausforderungen der digitalen Welt annehmen und meistern können, erhielten Forscher nun Zugang zu einer unglaublich großen Datenmenge, bestehend aus:

  • einem Exabyte (= 1 Trillion Bytes) Daten
  • über 10 Billionen Zahlen
  • rund 38 Millionen URLs, die zwischen Januar 2017 und Juli 2019 öffentlich und öfter als 100 Mal geteilt wurden.

Sinn und Zweck dieser Mega-Datenanalyse ist es herauszufinden, wie Social Media und ihre Nutzer die Demokratie im Allgemeinen und Wahlen im Speziellen beeinflussen. Gerade in diesem „Super-Wahljahr“ 2020, in dem weltweit etwa 80 Urnengänge anstehen, ist der Blick von der außenstehenden akademischen Welt in die komplexen Datensilos von Facebook auch im Interesse von Mark Zuckerberg. Der nämlich fürchtet, dass die Europäische Kommission mit ihrem Vorstoß hin zu einer Demokratisierung der Daten in einem europäischen Datenpool, aus dem sich Unternehmen wie auch Regierungen nach europäischen Regeln bedienen können sollen, seinem Facebook das Wasser abgräbt.

20 Monate Daten sammeln

Die Forscher rund um die Professoren Gary King und Nathaniel Persily benötigten eigenen Angaben zufolge insgesamt zwanzig Monate, um den immensen Datensatz zusammenzutragen, der jetzt anderen Forschern zur Verfügung stehen soll.

Die darin enthaltenen Daten sind anonymisiert und geben Auskunft über Alter, Geschlecht und Wohnort all jener Facebook-User, die in irgendeine Interaktion mit URLs getreten waren, die wiederum Charakteristiken wie „durch Fakten-Check geprüft/nicht geprüft“ oder auch „von Nutzern als Hassrede gekennzeichnet“ aufwiesen.

Tatsächlich jedoch verbrachten die Wissenschaftler einen Großteil dieser zwanzig Monate damit, mit Facebook darüber zu verhandeln, in welcher Weise und Tiefe sie die Daten der Nutzer und deren Interaktionen mit URLs überhaupt erheben durften. Denn Facebook war auf eine solche Art der wissenschaftlichen Datenauswertung schlicht und ergreifend nicht vorbereitet.

Strenge DSGVO-Auslegung wird zu Hürde für Forscher

Eigentlich, so sollte man zumindest meinen, ist eine strenge Auslegung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) doch etwas Gutes. Es schützt die personenbezogenen Daten der Nutzer vor dem willkürlichen Zugriff durch eben solche Datenkraken wie Facebook. Andererseits, so die Forscher von Social Science One, war genauso diese strenge DSGVO-Auslegung seitens Facebook eine der größten Hürden bei der Erhebung der Daten.

Vor allem der Zugriff auf Einzelpersonen bezogene Daten bereitete Facebook Kopfschmerzen, auch wenn diese Informationen zusammengefasst oder anonymisiert worden waren. Umso mehr wünschen sich die Social Science One-Initiatoren, dass die EU und die für den US-Verbraucherschutz zuständige Federal Trade Commission so genannte Safe Harbours, also geschützte Bereiche, erschaffen, innerhalb derer Forscher unabhängige Analysen der Daten vornehmen können, während Privatunternehmen wie Facebook keine Angst haben müssen, die nächste Milliarden-Strafe wegen Fahrlässigkeit in Sachen Datenschutz zahlen zu müssen.

Daten für die Demokratie

Auch der jüngste Bericht der Kofi-Annan-Stiftung widmet sich unter dem Titel Protecting electoral integrity in the digital age der Frage, wie Demokratie und freie, faire Wahlen im Zeitalter digitaler Parolen, Wahlkämpfe, Hassrede und Manipulationen bewahrt werden können.

Vor den Forderungen an die sozialen Netzwerke und klassischen Medien, die Demokratie und demokratische Wahlen zu schützen, steht jedoch deren Schelte. Denn den Verfassern des Berichts zufolge:

  • haben Social-Media-Plattformen es in der Vergangenheit nicht geschafft oder nicht gewollt, die Verbreitung von Hassrede und Desinformationen über ihre Netzwerke einzudämmen.
  • waren die Social Media nicht in der Lage vorherzusehen, wie ihre Technologie gerade in zerbrechlichen Demokratien zu noch mehr Instabilität führen würde.
  • haben Facebook und Co. dabei versagt, Politiker daran zu hindern, Hass und Falschinformationen über Konkurrenten zu verbreiten und damit das Vertrauen der Bürger in ihre Gesellschaft und behördlichen Strukturen zu unterminieren.
  • waren auch traditionelle Medien oft genug Multiplikatoren von Propaganda und Desinformation anstatt Verfechter verifizierter Fakten.

Umso wichtiger also, so der Bericht der Kofi-Annan-Stiftung, dass sich die sozialen Netzwerke jetzt, im globalen Wahljahr 2020, und künftig stärker ins Zeug legen, damit aus ihren Plattformen keine noch größeren Inkubatoren für Lügen, Hass und Hetze werden, die die Demokratie in ihren Grundfesten zu erschüttern drohen.

Koalitionen bilden – Forschern Datenzugang gewähren

Die sozialen Netzwerke sollten Koalitionen bilden, um die Gefahren, die von der Verbreitung von Falschinformationen über ihre Plattformen für die Demokratie und freie Wahlen ausgehen, mit geeinten Kräften zu bannen – ähnlich wie sie es bereits getan haben, um Extremismus, Terrorismus und Kindesmissbrauch zu bekämpfen.

Nicht zuletzt aber schlägt die vom 2018 verstorbenen ehemaligen UN-Generalsekretär und Friedensnobelpreis Kofi Annan gegründete Stiftung vor, dass die Social Media ihre Datensammlung für Forscher öffnen sollten – noch schneller, noch unkomplizierter und noch mehr auf Zusammenarbeit mit Wissenschaftler bedacht.

Denn nur, wenn unabhängige Wissenschaftler sehen könnten, wer sich wann mit wem worüber in den sozialen Netzwerken vernetzt und wie ausgetauscht hat, könnten sie besser verstehen, wie Social Media die Gesellschaft und damit auch das Verständnis von Demokratie und die Integrität von freien, fairen und geheimen Wahlen verändern.

Autor: MB

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